Die Arbeiterzeitung steht an der vordersten Front des Klassenkampfes

Ihsan Caralan

Der Chefredakteur der türkischen oppositionellen Tageszeitung Evrensel, Hakkı Özdal, rief die Leserinnen und Leser der Zeitung zur „Solidatität mit Evrensel“ auf.

Außenstehende mögen vielleicht denken: „Evrensel ruft schon wieder zur Solidarität auf“. Aber Evrensel wurde 29 Jahre lang auf jede erdenkliche Weise zu blockieren versucht. Von der Beschlagnahmung unzähliger Ausgaben bis zu Druck- und Verkaufsverboten. Von der Verhinderung des Zugangs ihrer Reporter zu Nachrichten, von der Verschleppung ihrer Autoren, Geschäftsführer und Reporter vor Gerichte, von dem Versuch, sie mit Geld- und Haftstrafen zum Schweigen zu bringen, von der dreimaligen Schließung und schließlich von der finanziellen Belagerung durch die Verwaltungsbehörde für amtliche Veröffentlichungen (BİK), indem sie ihr „Recht auf Anzeigen“ annulierte ohne rechtliche Grundlage.

Aus diesem Grund kämpft Evrensel seit ihrer Gründung gegen administrative, politische und juristische Behinderungen im wahrsten Sinne des Wortes und stützt sich dabei nur auf ihre Leser, die zugleich ihre Reporter, Autoren, Abonnenten und Verteiler sind, gegen die Versuche, sie finanziell zu ruinieren.

Evrensel wird nicht von den Milliarden der Konzerne oder den Mitteln des Staates gestützt und gehört nicht zu den pro-Regierungsmedien, die ohne zu hinterfragen abdrucken, was die Regierung erklärt. Im Gegenteil, Evrensel bekämpft diese Ordnung der Ausbeutung und Unterdrückung, die von den anderen Medien mit allen staatlichen Mittel verteidigt werden.

Warum der Aufruf zur Solidarität?

Unter diesem Gesichtspunkt sind die Leser von Evrensel in der Tat ständig in der Lage, die Zeitung zu verbreiten, die von ihr dargestellten Tatsachen unter den Werktätigen zu diskutieren, jeden Tag neue Leser zu gewinnen und die Reaktionen der Arbeiter und Werktätigen durch ihre Berichterstattung zu verbreiten.

Özdal sagte in seinem Solidaritätsaufruf: „…Heute treten wir mit einer neuen Kampagne vor unsere Leser. Wir rufen zur Solidarität auf, um die Schwierigkeiten, die sich uns stellen, mit viel Kraft zu überwinden. Wir verstärken uns mit einem neuen Publikationsplan und neuen Autoren. Wir bitten alle Teile der Gesellschaft, denen wir Gehör verschaffen wollen, sich zu solidarisieren und diesen Kampf anzunehmen… Wie immer sind wir auf die Unterstützung unserer Leser, Autoren und aller Werktätigen angewiesen, um unseren Stimmen in mehr Medien Gehör zu verschaffen.“

Aus den Worten unseres Chefredakteurs geht hervor, dass das Zentrum unserer Zeitung nicht nur die Belegschaft mit neuen Autoren bereichert, sondern auch Initiativen ergreift, um die Leserschaft der Zeitung mit besser recherchierten Nachrichten, Interviews, Dossiers usw. zu vergrößern.

Die Zahl der Abonnenten der gedruckten Zeitung und des „e-newspapers“ zu erhöhen und die notwendigen Schritte zu unternehmen, um diese Verantwortung in der Praxis ununterbrochen wahrzunehmen, die Zahl der Nachrichten, Interviews und Briefe, die aus den Betrieben, den Arbeitervierteln, aus allen Bereichen der gesellschaftlichen Kämpfe an die Zeitung geschickt werden, so weit wie möglich zu erhöhen. Neue dauerhafte Schritte in der Bewertung der Zeitung als eine Plattform zu unternehmen, auf der Arbeiter, Werktätigen, Jugendlichen, Frauen, die Umweltbewegung… die Probleme und Lösungen des Kampfes diskutieren.

Als Arbeiterzeitung an der vordersten Front des Kampfes zwischen Wahrheit und Lüge ist Evrensel ein scharfes Schwert, das den von den kapitalistischen Medien gewebten Lügenvorhang zerreißen wird.

Solange wir dieses Schwert geschickt einsetzen, indem wir es mit unseren eigenen Erfahrungen anreichern, wird Evrensel nicht besiegt werden, egal was die Ordnungsmächte tun!

Der Kampf zwischen Lüge und Wahrheit

Das Kommunistische Manifest beginnt mit dem Satz „Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen.“ Für uns bedeutet das, die „Geschichte ist die Geschichte des Kampfes zwischen Lüge und Wahrheit“.
Denn seit der Entstehung der Klassen hat sich eine handvoll Sklavenhalter in der Sklavengesellschaft der Tradition, der Sitte, der Religion, der Philosophie sowie der Fakten der Wissenschaft bedient, um ihre Herrschaft über Millionen von Arbeitern (Sklaven), eine handvoll Adlige in der Feudalgesellschaft über Millionen von Leibeigenen (Landsklaven) und eine handvoll Kapitalisten in der kapitalistischen Gesellschaft über Millionen von Arbeitern (Lohnsklaven) zu legitimieren. Das heißt, sie haben einen Schleier der Lüge über die Köpfe der Menschen gezogen, so dass sie nicht sehen können, dass das System in Wirklichkeit ganz zu Gunsten der Herrschenden funktioniert.
Seit ihrem Auftauchen auf der Bühne der Geschichte hat die Arbeiterklasse die Zeitung benutzt, um den Lügenvorhang zu zerreißen, der über dem Kapitalismus, dem fortschrittlichsten aller Ausbeutungs- und Unterdrückungssysteme, gespannt ist.
Seit ihrer Gründung im Jahr 1995 kämpft Evrensel als Erbe des außerordentlichen Reichtums an Veröffentlichungen der Arbeiterklasse in der Welt und in unserem Land als scharfes Schwert der Arbeiterklasse gegen die bürgerlichen Medien unzähliger Couleur, um den Lügenvorhang zu zerreißen, der vor den Augen des Volkes gespannt ist. Und hierbei braucht sie Solidarität und unsere Unterstützung.

Auch aus Deutschland kann Evrensel bei ihrer wichtigten Arbeit unterstützt werden. Auf der Seite von Evrensel können Sie ein Online-Abo abschließen.

https://abone.evrensel.net/yurtdisi

Kauf von mehr als einer Zeitung ist eine Straftat

Die linke Tageszeitung Evrensel hat gegen die Presseanzeigenagentur (BİK) geklagt, die ihr das Recht entzog, offizielle Anzeigen zu veröffentlichen. Das 2. Verwaltungsgericht Istanbul wies die Klage heute (26.01.2024) ab. In seiner Entscheidung akzeptierte das Gericht das Argument der BIK, der Kauf von mehr als einer Ausgabe der Zeitung durch eine Person sei eine Straftat und wies die Klage mit der Begründung ab, dass 359 Exemplare zudem an verschiedene politische Parteien und Organisationen verkauft wurden.

WAS IST GESCHIEHEN?

Im September 2019 entzog die Presseagentur (BIK) der Evrensel das Recht zur Veröffentlichung von Werbeanzeigen, wogen die Zeitung Widerspruch einlegte. Weil die BIK das ablehnte, ging der Fall im August 2022 vor Gericht. In der Begründung hieß es, dass die Verkaufsbücher der Zeitung nicht korrekt geführt würden, da Leser mehr als eine Zeitungsausgabe kauften. Nach dem ersten Gerichtsbeschluss im Sinne der BIK, reichte die Zeitung zwei Einsprüche bei der Agentur für Pressewerbung ein, um die Aufhebung des Beschlusses zu erreichen. Die Generaldirektion der BİK wies die Einsprüche jedoch mit der Begründung zurück, dass keine neuen positiven Informationen und Dokumente vorgelegt wurden, die den Verstoß der Zeitung beseitigen würden. Devrim Avcı, Anwalt der Evrensel, zog daraufhin gegen die Entscheidung erneut vor Gericht.

GERICHT GIBT BİK RECHT

Die erste Anhörung fand am 28. November 2023 vor dem 2. Verwaltungsgericht in Istanbul statt. Am Ende beschloss das Gericht, die Klage abzuweisen und erklärte die Löschung von staatlichen Anzeigen durch die BİK für gerechtfertigt. Begründet wurde die Entscheidung mit den Feststellungen, dass rund 359 Exemplare der Zeitung an verschiedene politische Parteien und Organisationen geliefert wurden, die zuletzt nicht als Händler eingestuft wurden. Die Branchenbücher, die in elektronischer Form geführt werden müssen, nicht täglich bearbeitet würden, was einen Verstoß darstellt. Im Händler- und Abonnentenbuch seien demnach nur 50 Abonnentenverkäufe aufgeführt, die für jeden Erscheinungstag der Zeitung ausgestellt werden. Im vorliegenden Fall werde deshalb davon ausgegangen, dass die klagende Zeitung, die in der Gesetzgebung geforderte Mindestzahl an Verkäufen nicht erfülle. Der Entzug des Rechts auf Anzeigen der Tageszeitung Evrensel, stelle demnach kein Widerspruch zum Gesetz dar.

„ES GIBT EIN POLITISCHES EMBARGO“

Devrim Avcı, erklärte, in dem aktuellen Urteil sei keine Rechtfertigung für ein Werbeverbot zu erkennen. Er verwies auf das Recht Berufung einzulegen. Auf Grundlage des Verfahrens und der aktuellen Entscheidung wird die Zeitung allerdings ständig durch die BIK überwacht.

Chefredakteur der Evrensel, Hakkı Özdal, sagte, die Entscheidung bedeute einen finanziellen Verlust für die Zeitung Evrensel und eine weitere Erschwernis für das Verlagswesen, die in Konkurrenz zu großen Medienmonopole arbeiten. Özdal betonte, dass die Entscheidung sie aber nicht in ihrer Arbeit aufhalten werde. „Es wird davon ausgegangen, dass eine Person nicht mehr als eine Zeitung kaufen kann, aber da wird unsere Reichweite unterschätzt. Einige unserer Leser und organisieren sich freiwillig dafür, dass unsere Zeitung überall verkauft wird“.

Özdal betonte, dass es sich bei dem Urteil um eine politische Entscheidung handelt: „Wir haben die Anhörungen verfolgt und mit eigenen Augen gesehen, wie nahe sich Angeklagter und Entscheidungsträger stehen. Dieses Urteil hat nicht nur über die Evrensel, sondern auch über das letzte verbliebene Gesetz entschieden, das ein ‚Recht‘ genannt werden kann.“

Linker Journalismus unerwünscht

Türkei: Presseagentur will mit Werbeverbot gegen Tageszeitung Evrensel finanziellen Ruin des Blattes herbeiführen

Von Emre Şahin

Dass Staaten und Regierungen gegen unliebsame linke Zeitungen vorgehen, ist – siehe die Beobachtung der jW durch den Inlandsgeheimdienst mit dem irreführenden Namen – kein rein deutsches Phänomen. Auch in der Türkei haben die Verfolgung von kritischen Journalistinnen und Journalisten sowie die Schließung oppositioneller Blätter und Sender eine lange Tradition. Neuestes beziehungsweise wiederholtes Ziel der Regierung in Ankara: die linke Tageszeitung Evrensel.

Montag vergangener Woche wurde ihr von der staatlichen Presseanzeigenagentur BIK das Recht genommen, offizielle Anzeigen zu veröffentlichen. Begründet wurde der Schritt mit absurden Vorwürfen. So versuche Evrensel, die eigenen Verkaufszahlen künstlich aufzublähen. Bei »Kontrollen«, die bei Zeitungshändlern durchgeführt wurden, sei unter anderem festgestellt worden, dass Leserinnen und Leser mehr als eine Ausgabe gekauft hätten, die Buchführung nicht korrekt durchgeführt worden sei und die Zeitung von verschiedenen Organisationen abonniert werde. Für Chefredakteur Fatih Polat ein Skandal, der in seiner Kolumne treffend darauf hinwies, dass die BIK, statt aus dem mit Steuergeldern finanzierten Budget Anzeigen zu verteilen, im Stile eines Nachrichtendienstes Mitarbeiter durch das Land schickt.

So wird der Evrensel zur Last gelegt, von Gewerkschaften und Parteien abonniert zu werden. Auch der Vorwurf der nicht korrekt geführten Buchhaltung scheint fadenscheinig, kämpft die Zeitung doch seit ihrer Gründung 1995 – auch wegen ihrer solidarischen Kurdistan-Berichterstattung – immer wieder mit Bußgeldern und Verbotsverfahren. 1996 wurde gar ihr Reporter Metin Göktepe von Polizisten umgebracht. Nicht zuletzt ist die Zeitung gerade wegen ihrer Professionalität als Anlaufstelle für Nachwuchsjournalisten bekannt, die anschließend regelmäßig von größeren Medienhäusern rekrutiert werden.

Der aktuelle Konflikt um das Werbeverbot besteht seit September 2019 und ging einher mit der zunehmenden Einflussnahme der Regierungspartei AKP auf die BIK. Nachdem die Agentur bereits 2018 direkt dem Informationsministerium unterstellt worden war, wurde der Vorstand 2019 durchweg mit regierungsnahen Funktionären besetzt. Welche Konsequenzen das hat, stellte die Föderation der Demokratischen Arbeitervereine (DIDF) in einer Mitteilung vom 24. August heraus: Während 2020 78 Prozent der staatlichen Werbeanzeigen an die regierungsnahe Presse vergeben wurde, trafen 98 Prozent der Verbote oppositionelle Blätter. Angesichts der Wirtschaftskrise und der anstehenden Wahlen, bei denen die AKP unter Druck steht, soll offensichtlich eine Zeitung der Arbeiterklasse noch vor der Abstimmung finanziell erdrosselt werden.

Dieser Meinung ist auch Yücel Özdemir, Europa-Korrespondent der Evrensel. Er sieht neben dem Mundtotmachen der Presse vor den Wahlen auch die Blattlinie als Grund: »Seit 27 Jahren machen wir linken, sozialistischen Journalismus und haben es selbst nach 2019 geschafft, als unabhängige Zeitung auf eigenen Beinen zu stehen.« Die Zeitung erfahre große Solidarität, so Özdemir gegenüber jW. Binnen einer Woche seien die Abozahlen um 300 Bestellungen gestiegen.

Quelle: https://www.jungewelt.de/artikel/433646.pressefreiheit-in-der-türkei-linker-journalismus-unerwünscht.html

Solidarität mit Evrensel! Oppositionelle Presse lässt sich nicht verbieten!

Seit September 2019 wird in der Türkei Tageszeitung Evrensel das Recht auf staatliche Werbeschaltungen seitens der Anstalt für amtliche Bekanntmachungen (Türkisch: Basın İlan Kurumu – BIK) rechtswidrig verwehrt. Am 22. August 2022 hat die BIK beschlossen, ihr Werbeverbot gegen die Evrensel zu verstetigen. Der fadenscheinige Vorwurf der BIK ist dabei, dass Evrensel versuche, seine Verkaufszahlen künstlich aufzublähen.

So habe die BIK den Einzelhandel überprüft und festgestellt, dass ihre Leser an Zeitungsständen mehr als eine Zeitung kauften, dass Organisationen unter ihren Abonnenten seien sowie dass die Buchführung über Verkäufe und Rückgaben nicht korrekt abgelaufen sei.

Das perfide an diesem Vorwurf: Die Zeitung startete eine Solidaritätskampagne als Reaktion auf das Werbeverbot von 2019 und rief ihre Leser dazu auf, neben der eigenen eine weitere Zeitung zu kaufen und diese Freunden und Bekannten zu geben sowie Abonnements abzuschließen, um die Evrensel gegen den Wegfall der Einnahmen aus den staatlichen Werbeanzeigen zu unterstützen. Dass die BIK dies der Evrensel nun vorhält, zeigt unmissverständlich ihren Willen, die Evrensel finanziell zu ruinieren.

Die türkische Regierung versucht seit langem, kritische Stimmen auszumerzen. So schreckt sie auch nicht vor vollständigen Druckverboten, hohen Geldstrafen oder gar Verhaftungen zurück. Als eine Zeitung, die sowohl über die betrieblichen Kämpfe der Arbeiterklasse in der Türkei und weltweit als auch über Umweltzerstörung, über die politischen Interessen hinter Kriegen und Sanktionen und den Befreiungskampf der Frau berichtet, ist sie selbstverständlich den Herrschenden in der Türkei ein Dorn im Auge. So reiht sich das Werbeverbot durch die BIK in eine lange Reihe von Angriffen auf die Evrensel ein.

Offiziell ist die BIK damit beauftragt, lokale und unabhängige Presse durch gerechte Verteilung von staatlichen Werbeanzeigen zu stärken. Jedoch agiert sie tatsächlich eher als eine Art Richter über die Presse. Ihre Entscheidungen sind geprägt stark geprägt von einer „Freund oder Feind“-Mentalität: Während im Jahr 2020 78 % der staatlichen Werbeanzeigen an regierungsnahe Presse vergeben wurde, trafen 98 % der Werbeverbote oppositionelle Blätter. Gerade in der aktuellen Zeit sind diese Anzeigen eine wichtige Einnahmequelle für die Presse, um sich weiterhin gegen die steigenden Kosten stemmen zu können. Dass die türkische Regierung dieses Mittel nutzt, um einzig und allein sie stützende Stimmen zu finanzieren, ist ein Angriff auf die Pressefreiheit.

Dieser Auffassung ist sogar das türkische Verfassungsgericht, welches der BIK vorwarf, sich in ein Bestrafungsinstrument verwandelt und eine einschüchternde Wirkung auf die Presse zu haben. Doch auch das höchste Gericht der Türkei hält die Herrschenden in der Türkei nicht auf, freie Presse anzugreifen!

Das Einzige, was sie aufhalten kann, ist internationale Solidarität!

Wir rufen alle dazu auf: Schließt ein Online-Solidaritätsabonnement der Evrensel ab! Richtet euren Protest gegen die BIK!

@basinilankurumu

https://bik.gov.tr/iletisim/bize-yazin/

Yücel Özdemir

EVRENSEL – Deutschland Korrespondent

(Mehr Info: 0171-532 98 29)

Die Moral der Anstalt für Presseanzeigen

Fatih Polat

Die Zeitung Evrensel bekommt seit 500 Tagen keine Anzeigen von staatlichen Behörden. Der Grund dafür ist die Entscheidung der Anstalt für Presseanzeigen (BIK) vom 18. September 2019 gegen Evrensel, wonach sie ihren Anspruch auf Veröffentlichung von Anzeigen staatlicher Behörden verlor. Anschließend verhängte die staatliche Behörde Anzeigenstopps für 25 Tage im Jahr 2019, 65 Tage im Jahr 2020 und 3 Tage in diesem Jahr. Diese Entscheidungen begründete sie mit Verstößen gegen die „moralischen Pressegrundsätze“.

Was ist eigentlich die BIK?

Die BIK wurde nach dem Ende der Zensurära gegründet, die in der Regierungszeit von der Demokratischen Partei (DP) unter Menderes geherrscht hatte. Die Anstalt sollte ursprünglich dazu dienen, die Presse finanziell zu unterstützen. Im Artikel 32 des Gesetzes mit der Nummer über die Gründung der Anstalt für Presseanzeigen, das im Jahre 1961 verabschiedet wurde, heißt es dazu: „Entsprechend den Kriterien, die von der Generalversammlung der Anstalt für Presseanzeigen zu bestimmen sind, werden Anzeigen und Bekanntmachungen staatlicher Stellen in sämtlichen, im Artikel 34 genannten Periodika geschaltet. Dabei wird nicht unterschieden, welche Ausrichtung und Weltanschauung die jeweiligen Periodika haben.“

In der gesamten Regierungszeit der AKP wurde ständig gegen diese Vorschrift verstoßen. Mit einem Erlass des Staatspräsidenten Erdoğan, der im Anzeigenblatt vom 6.  August 2018 veröffentlicht wurde, erhielt die dem Präsidialamt unterstellte Direktion für Kommunikationsfragen zusätzlich zu ihren bestehenden Befugnissen auch die Kontrolle über die Anstalt der Presseanzeigen. Seitdem ist die BIK eine staatliche Behörde, die in völliger Abhängigkeit von der Regierung steht.

Die Entscheidungen selbst, die die BIK nach dieser Umstrukturierung traf, liefern dafür den Nachweis. So wurde beispielsweise aufgrund eines Artikels, der am 16. April 2020 in „Evrensel“ veröffentlicht wurde, ein 5-tägiger Anzeigenstopp gegen die Zeitung verhängt. In einer Erklärung hatte zuvor der stellvertretende CHP-Fraktionsvorsitzende Özgür Özel die Ausweisung eines Grundstücks als Bauland kritisiert, das in unmittelbarer Nachbarschaft zur Wohnung des Leiters der Direktion für Kommunikationsfragen in Kuzguncuk, Fahrettin Altun lag. Im besagten Evrensel-Bericht wurde auf diese Presseerklärung Bezug genommen.

Wegen eines weiteren Artikels, der sich mit demselben Thema befasst hatte, wurde gegen Evrensel Anfang dieses Jahres erneut ein 3-tägiger Anzeigenstopp verhängt. Diesmal ging es um einen Gerichtstermin, bei dem Cumhuriyet-Korrespondenten wegen ihrer Berichterstattung über die Privatwohnung Altuns angehört wurden.

Beide Strafen wurden mit Verstößen gegen den Pressekodex der BIK begründet. Die Evrensel habe hier moralische Grundsätze der Pressearbeit verletzt. Als Antwort auf diesen Vorwurf kann man auf die Erklärung über die Rechte und Pflichten des Türkischen Journalistenverbandes verweisen. Im Kapitel „Verantwortung von Journalisten“ heißt es dort: „Der Journalist setzt aufrichtig die Pressefreiheit ein, um das Recht der Bevölkerung auf Informationsfreiheit durchzusetzen. Zu diesem Zweck kämpft er gegen Zensur und Selbstzensur jeder Art. Der Journalist ist vor allem gegenüber der Bevölkerung und gegenüber der Wahrheit verantwortlich. Diese Verantwortung steht über seiner Verantwortung gegenüber der öffentlichen Autorität und seinem Arbeitgeber.“

Das ist der gemeinsame Nenner, den sich in allen Erklärungen über die ethischen und universellen Grundsätze des Journalismus wiederfindet. Das ist unser Maßstab. Wenn sich ein Regierungsapparat wie ein Ethikrat aufführt, dann wird er zu einer außergerichtlichen Instanz, die über Journalisten richtet und sie sanktioniert, wozu sich nicht einmal die Rechtsprechung berufen fühlt. Das ist es, was wir heute erleben.

Journalisten Verbände: Wir stehen zu Evrensel

Nationale und internationale Medienorganisationen betonten, dass es keine vernünftige Erklärung für die Strafe gibt und fordern Solidarität mit der „Evrensel“.

Die Türkei-Repräsentantin des International Press Institute (IPI), Renan Akyavas, sagt, dass die Presse-Anzeigen-Agentur BIK ursprünglich gegründet wurde, um Zeitungen und die Pluralität und Vielfalt der Medien zu unterstützen. Sie weist darauf hin, dass es keine vernünftige Erklärung für die aufeinanderfolgenden Strafen gibt, die die BIK gegen Evrensel verhängt hat: „Die Anzeigenstopps sind nun ein klares Indiz dafür, dass die Zeitung absichtlich und vorsätzlich in einen wirtschaftlichen Kollaps getrieben wird.“ Akyavaş und IPI fordern eine transparente Offenlegung der BIK-Berichte, die bisher verwehrt wurde. „An dieser Stelle sollte mit Bedauern festgestellt werden, dass BIK eine vollständig politisierte Institution ist und bewusst handelt, um bestimmte und kritische Zeitungen zur Schließung zu zwingen. Als IPI stehen wir jedoch an der Seite von Evrensel und werden diesen schwerwiegenden Verstoß gegen die Pressefreiheit weiterhin in der internationalen Öffentlichkeit bekannt machen.“

„INTOLERANZ GEGENÜBER KRITIK“

Erol Önderoğlu, Reporter ohne Grenzen (RSF) und Berichterstatter für Medienfreiheit bei Bianet, erklärte: „Die Behörden, von denen erwartet wird, dass sie die Medien unabhängig und konstruktiv organisieren, eliminieren kritische Journalisten und Sender. Wir können sehen, dass sie koordiniert und in großer Harmonie arbeiten, um ihnen offizielle Anzeigen, Presseausweise und unabhängige Sendemöglichkeiten zu entziehen. Prozesse gegen Journalisten werden als gezielte Angriffe auf terroristische Organisationen dargestellt, Verletzung von Persönlichkeitsrechten von Journalisten stehen auf der Tagesordnung und die Einführung einer ‚Zugangssperre‘ für Nachrichten im Internet zeigen, welche Art von Mobilisierung in der Intoleranz gegenüber Kritik entwickelt wurde.“

„DER PRÄSIDENT DER KOMMUNIKATIONSBEHÖRDE GLAUBT NICHT AN DIE PRESSE- UND MEINUNGSFREIHEIT“

Der Vorsitzende der Türkischen Journalistengewerkschaft (TGS), Gökhan Durmuş, sagte: „Wir erleben in der Türkei Tage, an denen wir nicht wissen, worüber wir uns wundern sollen. Die BIK, die Evrensel über eineinhalb Jahre lang unrechtmäßig eine einzige offizielle Anzeige vorenthalten hatte, hat nun eine neue Strafe für die Veröffentlichung von Anzeigen verhängt. Das ist eine Strafe, die wir einfach nicht glauben können, das muss ein Scherz sein“, sagte er. Durmuş erklärte „Stellen Sie sich ein Land vor, in dem der Leiter der Kommunikationsabteilung nicht an die Presse- und Meinungsfreiheit glaubt. Nun stellen Sie sich einen Kommunikationschef vor, der seine Anwälte, Gerichte, RTÜK und die BIK gegen jede negative Nachricht über ihn aufruft und Strafen auf Journalisten und Medienorganisationen regnen lässt. Es gibt weder in den Bestimmungen noch im Gesetz eine Erklärung für die Strafe des Anzeigenstopps. Aber natürlich werden sie es nicht schaffen, Evrensel, die Zeitung, die aus Sicht der Arbeiterklasse berichtet, mit diesen Strafen zum Schweigen zu bringen.“

„WIR WERDEN WEITER KÄMPFEN“

Faruk Eren, Präsident der DİSK-Journalistengewerkschaft, erinnerte daran, dass Journalisten bereits unter großem Druck leben und sagte: „Jetzt hat dieser Druck begonnen, in Willkür umzuschlagen. In der Vergangenheit wurde Druck auf die Nachrichten ausgeübt, die die Regierung gestört haben. Journalisten, Zeitungen und Nachrichten wurden unter Druck gesetzt, um zu verhindern, dass diese Nachrichten die Öffentlichkeit erreichen, aber das ist jetzt eine neue Stufe. Mit großer Willkür wird die Presse bestraft. Wir kennen diese Situation. Die Journalisten leben seit langem mit diesem Druck, aber wir werden uns nie daran gewöhnen. Wir werden weiter dagegen ankämpfen.“

Evrensel wird sich nicht beugen!

Fatih Polat (Chefredakteure)

Im vergangenen Jahr hat die Anstalt für Presseanzeigen einen „Anzeigen-Stopp“ gegen die Tageszeitung Evrensel verhängt. Und dieses Jahr – das übrigens unser 25-jähriges Jubiläum ist – beginnt mit der gegen uns verhängten Strafe wegen eines Videos, das bei TELE1 veröffentlicht wurde.

Wie wir uns erinnern, hat die  Regierungsbehörde für Rundfunk (RTÜK) beschlossen, eine hohe Geldstrafe gegen TELE1 zu verhängen. Die Begründung: „Lob und Förderung von Terrorismus“, terroristische Organisationen würden als stark oder ihr Handeln als gerechtfertigt dargestellt.

Der Vorwurf gegen uns wurde vom Amt für Verbraucherschutz und Marktüberwachung des Handelsministeriums vor Gericht gebracht. Hierbei geht es um eine Werbeanzeige unserer Zeitung. Das betreffende Video dauert insgesamt 45 Sekunden. Das Bild, mit dem die Strafe begründet wird, ist keine 2 Sekunden lang. Die Strafe, die uns das Gericht auferlegt hat, beträgt 20.953 Türkische Lira (TL).

Das Gericht erklärte am 8. Dezember 2030 unsere Werbeanzeige als Straftat und „Verstoß gegen Artikel 61 des Gesetzes Nr. 6502.“

Es wurde erklärt: „Am 08.07.2020 wurde eine Werbung Ihrer Firma auf dem Fernsehkanal TELE1 gezeigt. Dort heisst es, Ihre Zeitung sei die Stimme von Millionen, die wegen steigenden Kosten hungern müssen und ein Leben in Menschenwürde führen wollen! In dem Video wird eine Bildsequenz von einem Mädchen mit einem Stück Stoff gezeigt, das Symbole einer terroristischen Organisation darstellt. Laut Verordnung zu kommerzieller Werbung und unlautere Geschäftspraktiken, Artikel 5 / c, „darf [Werbung] keine Elemente enthalten, die die öffentliche Ordnung stören, gewalttätige Handlungen und illegale oder verurteilte Verhaltensweisen verursachen, diese Verhaltensweisen dulden, fördern oder unterstützen.“

Das genannte Bild ist eine Fotografie eines Mädchens auf einer Newroz-Feier im Jahr 2015. Darauf hält das Mädchen einen Schal in den kurdischen Farben gelb, rot und grün. Wie bereits erwähnt, das gesamte Video dauert 45 Sekunden, das besagte Bild ist für wenige Sekunden zu sehen.

Dieses 2-Sekunden-Foto wird benutzt, um den für die Regierung unbequemen und deshalb systematisch zum Ziel erklärten Sender TELE1 stummzuschalten und die finanzielle Belagerung unserer Zeitung Evrensel auszudehnen.

Das kriminelle Argument, das die Regierung diesmal durch die zuständige Abteilung des Handelsministeriums vorbringt, ist zum einen tragisch und zum anderen lächerlich.

Sagen wir es noch einmal. Auf dem rot-gelb-grünen Schal des Mädchens auf dem Foto ist kein Symbol irgendeiner Organisation abgebildet. Die Anklage und das Gericht konnten kein einziges Beweisstück diesbezüglich vorlegen. Ich sage: „Wenn Sie die Farben des kurdischen Volkes als „spalterisch“ empfinden, ist das Ihr Wahrnehmungsproblem!“

Diese problematische Wahrnehmung ist zu einem tragikomischen Witz in der jüngeren Geschichte der Türkei geworden. Die weltweit erste elektrische Ampel wurde am 5. August 1914 in Cleveland im US-Bundesstaat Ohio aufgestellt. Im Gegensatz zu heute bestand das damalige Lampensystem aus Rot und Grün.

Während sich Ampeln im Laufe der Zeit in drei Farben verwendet wurden, in den großen Städten der Welt rasch verbreiteten, wurden in den 1920er Jahren Ampeln in New York, Paris und Berlin installiert. Die erste Ampel in der Türkei wurde 1929 in Istanbul aufgestellt.

In den von Konflikten um die „Kurdenfrage“ geprägten 1990er Jahren wurden in Batman die Verkehrsampeln als „spalterische Farben“ betrachtet und die dreifarbigen Ampeln eine Zeit lang außer Betrieb gesetzt. In dieser Zeit wurden nur rot-grüne Ampeln verwendet. 30 Jahre später wird die gleiche „Logik“ angewendet.

Sind die Newroz-Kundgebungen in diesem Land nicht legal? Gibt es ein Verbot von Schals, die bei diesen Kundgebungen verwendet werden? Wenn es ein Gesetz gibt, dass diese Schals eine Organisation darstellen, wissen wir es nicht, klären Sie uns doch bitte auf – welches Gesetz ist das?

Natürlich wird sich Evrensel dieser lächerlich begründeten Strafe nicht beugen. Wir werden Klage einreichen und alle Rechtsmittel einsetzen.

Und wir werden unsere Berichterstattung auf der Grundlage der Brüderlichkeit der Völker und des Rechts auf Information ohne Kompromisse fortsetzen. Das ist ein Problem für Sie!

04.01.2021